Karien Vervoort arbeitet mit einem untrüglichem, außerordentliche präzisen Gespür für geometrische Formen und ihre Anordnung im Raum. Logische Verschiebung, äußerer Widerspruch, Wiederholung und Spiegelung gehören zum methodischen Repertoire ihres künstlerischen Schaffens. Sie irritiert, überrascht und verblüfft mit schlichten Wahrheiten, die ihrerseits auf komplexe kulturelle Zusammenhänge zielen.

Das Herauslösen des Gewohnten aus bekannten Sinnzusammenhängen, die Irritation durch Wahrnehmung des unbekannt Normalen, die Vorführung des Gewöhnlichen und die Lust an der sich in ästhetischer Selbstreferenz zeigenden Intelligenz bestimmen das Spiel mit Formen, Formenkontrasten und Maßstabsverhältnissen. Dabei offenbart ihr besonderer Blick kleine Botschaften, die Großes in Frage stellen, mal vermittelt als scheinbar nutzloses Raumvolumen unter einem Tisch, mal als Zustandbeschreibung einer Welle, welche die Wahrheit von Freiheit grundsätzlich in Zweifel zieht. An den Ecken van Schwimmern getragen zeigt sich die perfekte, sinusförmige Gestalt der perspective amoureuse in vollendeter Diagonalbewegung innerhalb der Masche eines Fischernetzes.

 

Das konstruktive Element des künstlerischen Gestaltens von Karien Vervoort kommt ebenso in den Zeichnungen „Denkmodell für einen Tempel“ wie auch in einer Vielzahl von plastischen Denkmodellen zum Tragen. Während in den Skulpturen „Maßstab Nr. 2 und Denkmodell Nr. 7“ die Erkenntnis, das intellektuelle maßstäbliche und assoziative Spiel sowie deren menschliche Dimensionen eine Rolle spielen, verrät die Beschäftigung mit strukturgebenden Elementen besonders im „Denkmodell für einen Tempel“ das Interesse der Künstlerin am offenen Raum. Lichtschleusen in Stellvertretung körperlichen Volumens. Fluchtlinien und Lichtflure, die kühle Leichtigkeit suggerieren. Spuren radialer Bewegung aufgestoßener Flügeltüren verleihen dem rationalen Anschein ein poetisches Moment, die Kolorierung und Zeichnung mildern die Strenge der klaren Kompositionen.

 

Dem Quadrat kommt in der Mehrzahl der künstlerischen Arbeiten als Lichtquadrat und Durchblick, als inhaltliche Zustandbeschreibung oder auch strukturelles Kompositionselement eine herausragende Bedeutung zu. Das Lichtquadrat besitzt für Karien Vervoort zudem immer auch eine spirituelle Dimension.

 

Auf flachem Sockel demonstriert sie ihre „Denkmodelle“ auf immergleicher Bühne. Tische dienen als Träger, und sie sind darüber hinaus als Mittel konzipiert, den Erdboden als Basisträger auf „Augenhöhe“ zu bringen. Gleichsam ist der Betrachter gefordert, die gewohnte Perspektive aufzugeben und das nicht bis zuletzt Ausdefinierte zu erkunden, das ihm innewohnende Wesenhafte tastend zu erfühlen und die unbekannten Dimensionen scheinbarer Anmutung zu hinterfragen.

 

 

Ute Reinhöfer 2006